Industriehof

Im Frühjahr 1942 begann die Bauleitung der Waffen‑SS und Polizei Hamburg-Neuengamme (BL) mit der Planung eines eigenen Industriehofes mit mehreren Werkstatt- und Lagerbaracken südlich des „Schutzhaftlagers“ (Häftlingslager). Diese Aktivitäten der ZBL im Handwerksbereich gehen auf eine Anweisung des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, vom 31. Januar 1942 zurück, wonach die SS im Bauwesen unabhängig werden müsse. Entsprechend versuchte auch die ZBL Hamburg-Neuengamme, alle beim Bau anfallenden Arbeiten selbst auszuführen.

Auf dem für den Industriehof vorgesehenen und im Besitz der Deutschen Erd- und Steinwerke GmbH (DESt) befindlichen Grundstück wurde bereits spätestens seit April 1941 an einem Gleisanschluss für die DESt geplant. Auf der verbliebenen Freifläche wies ein erster, nicht datierter, vom stellvertretenden Bauleiter SS‑Unterscharführer Könitzer unterzeichneter Lageplan für den Industriehof drei parallel stehende Werkstatt‑, Lager- und Garagenbaracken aus, in denen unter anderem ein Magazin, eine Schlosserei und eine Tischlerei untergebracht werden sollten. Im rechten Winkel zu diesen drei Baracken stehend waren am Neuen Heerweg (heute Jean-Dolidier-Weg) ferner eine Bürobaracke für die Bauleitung und südlich hinter dem geplanten Bahnanschluss ein separat eingezäunter „Kohlenschuppen“ vorgesehen.

In einer konkretisierten Planung des SS‑Hauptamtes Haushalt und Bauten (HAHuB) vom März 1942 waren dann vier Werkstatt‑, Lager und Garagenbaracken sowie eine Bürobaracke vorgesehen, die einen kleinen Hof umschlossen. Die vierte Baracke stand in der östlichen Verlängerung der Achse der nördlichen „Baumaterialbaracke“.

Die ebenfalls auf März 1942 datierten Ausführungsplanungen der Werkstattbaracken und der Verwaltungsbaracke stammten von der „Bauleitung der Waffen-SS und Polizei Hamburg-Neuengamme“. Verantwortlich für die Pläne zeichnete ein Bauleiter Damm. Ab Mitte 1942 wurde schließlich mit der Errichtung der Baracken begonnen. Offensichtlich handelte es sich um vier OKH-Pferdestallbaracken, deren Lieferung das HAHuB bereits im November 1941 angekündigt hatte.

An jede der drei 9,56 m × 40,68 m großen Werkstattbaracken wurde ein zwischen 9,76 m und 12,50 m langes massives Klinkerkopfgebäude angebaut. Die Differenz der Barackenlängen zu der genormten Barackenlänge von 40,76 m ergibt sich durch die wegen des Anbaus der Kopfgebäude nicht benötigte Außenwand. Die einzelnen Werkstattbereiche in der Tischlerei- und der Schlossereibaracke waren von dem zwischen den Baracken liegenden Hof durch mehrere Türen zu erreichen. Im Kopfgebäude der nördlichen Magazinbaracke waren drei Garagen mit großen, zweiflügeligen Holztoren eingebaut.

Die parallel zum Neuen Heerweg (heute Jean-Dolidier-Weg) stehende Bürobaracke der Zentralbauleitung der Waffen‑SS und Polizei Hamburg-Neuengamme (ZBL) hatte die Grundmaße 11,14 m × 44,88 m. Die Normbaracke war auf Streifenfundamenten gegründet und hatte ein mit Teerpappe gedecktes, flach geneigtes Satteldach. Der Zugang erfolgte über zweiflügelige Türen an den Giebelseiten. An einem 2,00 m breiten, mittigen Flur lagen an beiden Seiten Büro- und Nebenräume. Wie bei den RAD-Baracken lag auch der Baracke der ZBL ein Modulsystem von 3,30 m zugrunde. Die Länge der meisten Räume betrug 3,30 m, die Länge einiger größerer Räume, vermutlich Zeichensäle, ein Vielfaches dieser Modullänge (6,60 m und 9,90 m).

Bis zum Kriegsende wurden im Bereich des Industriehofes noch fünf weitere Baracken aufgestellt, die als Schuppen und Materiallager dienten.

Der Industriehof war zunächst nicht eingezäunt. Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt wurde um den gesamten Bereich der charakteristische KZ‑Zaun gezogen und im Nordosten des Industriehofes ein zusätzlicher Wachturm errichtet.

Am 2. Mai 1945 wurde das von der SS geräumte Konzentrationslager Neuengamme von der britischen Armee übernommen. Nachdem die britische Militärverwaltung das Gelände kurzzeitig als Lager für Displaced Persons (DP‑Camp) und als Lager für deutsche Kriegsgefangene genutzt hatte, wurde ab November 1945 ein ziviles Internierungslager, das „Civil Internment Camp No. 6“ (CIC 6), eingerichtet. Der gesamte südliche Bereich des KZ wurde dazu in sieben eigenständige Lager unterteilt. Der ehemalige Industriehof wurde anfangs von dem britischen Pionierbataillion „Royal Engineers Work Section 218“ als „Workshop Yard“ weiter genutzt. Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt wurde der am Neuen Heerweg gelegene Teil des Industriehofs von der „Royal Engineers Work Section 218“ geräumt und als Lager 5 zur Unterbringung von Internierten genutzt. Ab Mai 1946 wurde das Lager V als Aufnahmelager und der bis dato noch als „Pionier-Park“ genutzte Teil des Industriehofs als Lager VI genutzt. Spätestens ab Herbst 1946 wurde dann das Lager V als Transit-Camp für aus dem Ausland ausgewiesene deutsche Männer, Frauen und Kinder genutzt.

Die Bürobaracke der Zentralbauleitung wurde hierfür räumlich unverändert als Unterkunft mit eigenem Waschraum und Latrine für 97 Frauen und Kinder übernommen.

Das Baumateriallager mit der angeschlossenen Garage wurde umgebaut. Im massiven Kopfgebäude wurden Waschräume und Latrinen für insgesamt 250 Männer eingebaut. Der Lagerraum in der Holzbaracke wurde als Großraumunterkunft für 104 Männer genutzt. Aufgrund der Größe der Latrine ist davon auszugehen, dass auch in den anderen Werkstattbaracken Internierte untergebracht waren.

Am 6. September 1948 wurde das Gelände an die Hamburger Gefängnisbehörde übergeben, die es als „Männergefängnis Neuengamme“ weiternutzte. Der ehemalige Industriehof wurde hier als Bauhof genutzt.

Die Holzbaracken des Industriehofes wurden bis Mitte der 1950er-Jahre abgerissen. Die massiven Kopfgebäude und der Kohlenschuppen blieben bis zu ihrem Abriss in den 1960er-Jahren ungenutzt.