Krematorium

Seit der Einrichtung des Konzentrationslagers Neuengamme starben Häftlinge durch die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen und durch den direkten Terror der Konzentrationslager‑SS.

Der erste Häftling starb am 22. Februar 1940 und von da ab stieg die Zahl der Toten stark an. Gemäß der Doktrin der Waffen‑SS, alle verstorbenen KZ‑Häftlinge einzuäschern, wurden in den Anfangsjahren die Toten im Krematorium des Hamburger Friedhofs Ohlsdorf verbrannt. Den Transport der Leichen in das städtische Krematorium übernahm der Bergedorfer Beerdigungsunternehmer Ohlrogge.

Am 7. Juli 1942 wurde erstmals die Verbrennung von drei verstorbenen KZ‑Häftlingen im lagereigenen Krematorium dokumentiert. Allerdings enthält der „Nachweis über Einäscherungen“ dann drei Monate keine Eintragungen über Einäscherungen im KZ Neuengamme. Erst ab dem 6. Oktober 1942 erscheinen regelmäßig Einträge, sodass dieses Datum als der offizielle Beginn der Einäscherungen im lagereigenen Krematorium angesehen werden kann.

Bei den ersten drei am 7. Juli 1942 dokumentierten Verbrennungen von Häftlingen handelte sich um wahrscheinlich um eine erste Versuchseinäscherung im „neuen“ Krematorium, denn auch davor scheint es bereits Einäscherungen in Neuengamme gegeben zu haben. In einer Zeugenaussage im zweiten Prozess vor dem britischen Militärgericht im Curio-Haus in Hamburg berichtete der ehemalige Häftling Albin Lüdke, dass es bereits 1941 ein Krematorium gegeben habe.

Bereits ab Februar 1941 plante die Berliner Firma Heinrich Kori an einem Krematorium für das KZ Neuengamme. Neben dem Ofenraum mit einem koksbefeuerten Zweimuffelofen, der Leichenkammer und den technischen Nebenräumen war auch ein Sezierraum vorgesehen.

Der Bau eines massiven Krematoriums kam aber erst wesentlich später – und in veränderter Form – zur Ausführung. Die Gründe sind nicht bekannt. Bis dahin wurde ab Herbst 1942 eine „provisorische Verbrennungsanlage“ genutzt, die nacheinander zwei verschiedene Standorte in der Nähe der Kläranlage im Süden des Lagergeländes hatte.

Der ehemalige Häftling Helmut Bickel sagte in einem Prozess gegen den Chef des SS‑Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes (WVHA), Oswald Pohl, aus, dass dieses erste Krematorium „ein sogen[anntes] doppeltes Feldkrematorium“ gewesen sei und dass es sich „um zwei fahrbare Krematorien aus dem Felde [gehandelt habe], die [...] mit einem Wall von Soden, von Grasstuecken, umgeben“ gewesen seien. Bei diesem ersten Krematorium könnte es sich um fahrbare Einmuffelöfen der Firma Heinrich Kori gehandelt haben.

Der ehemalige Häftling Nikolai J. Simonow arbeitete im Juli/August 1942 bei diesem ersten, provisorischen Krematorium. Auch er berichtete davon, dass er einen Rasen anlegte und ihn dann „umpflanzte“. Später hat Nikolai Simonow „den Einbau der Türen vorbereitet“. Er lokalisiert den ersten Standort des Provisoriums sehr exakt „neben dem Schießstand, wo man Gefangene erschoß“.

Da der erste Krematoriumsentwurf vom 6. Februar 1941 nicht zur Ausführung kam, wurde weiter an einem massiven Krematorium geplant.

In den erhaltenen Plänen wird ein Krematorium wieder in einem Grundrissentwurf der Amtsgruppe C – Bauwesen – im WVHA vom 25. Februar 1942 erwähnt. Im Maßstab 1 : 200 ist ein Gebäudekomplex durchgeplant worden, der neben dem Krematorium auch eine Häftlingswäscherei, eine Fernheizung und ein Zellengebäude enthalten sollte. Dieser Entwurf floss in Form und Funktionen in den parallel entworfenen „Lageplan des K. L. Neuengamme“ vom 5. März 1942 ein und war Bestandteil einer vollständigen Neugestaltungsplanung des südlichen „Schutzhaftlagers“ (Häftlingslager). Aber auch dieser Entwurf wurde aus nicht bekannten Gründen verworfen. Weitere Standortvarianten wurden durchgeplant und ebenfalls verworfen.

Im Winter 1944 wurde schließlich durch Häftlinge begonnen, nördlich des Standortes des bisherigen Provisoriums einen massiven Krematoriumsneubau zu errichten. Der erste – und der einzige verwirklichte – Bauabschnitt des Krematoriums wurde dann vorzeitig im Dezember 1944 in Betrieb genommen. Die „vorzeitige“ Inbetriebnahme wird in der ständig steigenden Zahl zu verbrennender Leichen begründet gewesen sein.

Ob das Krematorium wie bei dem ersten Entwurf von der Firma Heinrich Kori oder von der Amtsgruppe C im WVHA oder durch die Zentralbauleitung der Waffen‑SS und Polizei Hamburg-Neuengamme (ZBL) geplant wurde, ist nicht bekannt. Die Ausführung lag aber vermutlich wie auch bei anderen Bauwerken im KZ Neuengamme in den Händen der ZBL unter dem Zentralbauleiter, dem Architekten Karl Fricke, bzw. bei der der ZBL untergeordneten Bauleitung Neuengamme (BL).

Die meisten Arbeiten wurden durch Häftlingskommandos des Industriehofes ausgeführt.

Da der Aufbau der von der Firma Heinrich Kori gelieferten Krematoriumsöfen und die Errichtung des Schornsteins großes Fachwissen erfordern, ist davon auszugehen, dass Techniker oder Ingenieure der Firma Heinrich Kori mindestens während des Aufbaus der Öfen und der Errichtung des großen Schonsteines vor Ort waren.

Aber auch weitere Firmen waren an der Errichtung des Krematoriums beteiligt. So war die Hamburger Firma P. B. Müller – Rohrleitungsbau, Sanitäre Anlagen – Bauklempnerei mit Sanitärinstallationen beauftragt und der Hamburger Baustoffhandel Bruns & Möllendorf hat die feuerfesten Schamottesteine geliefert.

Das Krematorium war ein massives Gebäude mit einem Klinkersichtmauerwerk und einem nach allen vier Seiten abgeschrägtes Dach (Walmdach), das mit Dachpfannen gedeckt war und eine Neigung von ca. 30° hatte. Die Gestaltung des Gebäudes weist mit der Fensterteilung, dem Klinkerbaustil und dem Walmdach einige traditionalistische und regionalistische Stilelemente des so genannten „Heimatschutzstils“ auf. Für den eigentlich „geheimen Ort“ Krematorium hatte das Gebäude ungewöhnlich viele Fenster, die aber im Bereich des Ofenraums halbhoch blickdicht gestrichen waren.

Aufgrund fehlender Ausführungspläne lassen sich die Maße des Gebäudes nur annähernd bestimmen. Der fertig gestellte Teil des Krematoriums war ca. 12,00 m × 8,50 m groß und hatte ca. 100 m2 Grundfläche.

Im verputzten und geweißten Inneren befanden sich der zentrale Raum mit einem Zweimuffelofen der Firma Heinrich Kori sowie im westlichen Teil des Gebäudes der Eingangsbereich mit einem Windfang und zwei Nebenräumen. In einem der Nebenräume waren vermutlich eine Schreibstube, die möglicherweise auch als Unterkunft für den Kapo des Krematoriumskommandos diente, und ein Lager für Urnen und Verpackungsmaterial untergebracht.

Als britische Soldaten das KZ Neuengamme am 2. Mai 1945 übernahmen, fanden sie das Krematorium unversehrt vor.

Der ehemalige Häftling Albin Lüdke berichtet, dass das „Lager Neuengamme [...] besensauber und staubgewischt verlassen“ worden sei. „Das Leichenhaus wurde oben weiss und die Sockel mit Ölfarbe gestrichen. Ebenso wurde das Krematorium mit Weisskalk gestrichen und mit einer Tafel ‚Desinfektionsanstalt‘ versehen, sodass sich in keiner Weise bei der Besetzung durch die englischen Truppen feststellen ließ, wer und was dort gewesen und sich dort abgespielt hat.“

Die frühen Fotos vom Inneren des Krematoriums zeigen wahrscheinlich den Zustand nach einer ersten, unsystematischen Untersuchung der Öfen. Die Ascheklappen sind geöffnet und die Asche herausgekehrt, im Vordergrund befinden sich Urnen und andere Gegenstände, die Bahren und Leichenwannen sind zerstört und stehen ungeordnet vor den Öfen.

Am 2. Mai 1945 wurde das von der SS geräumte Konzentrationslager Neuengamme von der britischen Armee übernommen. Nachdem die britische Militärverwaltung das Gelände kurzzeitig als Lager für Displaced Persons (DP‑Camp) und als Lager für deutsche Kriegsgefangene genutzt hatte, wurde im November 1945 ein ziviles Internierungslager, das „Civil Internment Camp No. 6“ (CIC 6), eingerichtet. Das Krematorium wurde nicht weitergenutzt. Wann das Gebäude abgerissen wurde, ist nicht genau bekannt. Aus einem Plan des Internierungslagers vom Dezember 1946 und einer Luftaufnahme anlässlich einer belgischen Pèlerinage (Pilgerfahrt von ehemaligen Häftlingen und Angehörigen) vom 3. Mai 1947 ist zu schließen, dass das Krematorium um den Jahreswechsel 1946/47 abgerissen wurde. Die Überreste blieben bis mindestens Ende 1949 als nicht zu übersehende Ruine erhalten.

In der Erinnerungskultur an das Konzentrationslager Neuengamme nahm der ehemalige Standort des Krematoriums bereits früh eine zentrale Stellung ein.

Nach jahrzehntelangem Protest und Engagement der ehemaligen Häftlinge und ihrer Verbände wurde der im Gelände nicht mehr erkennbare Standort des Krematoriums schließlich 1970 durch eine Gedenkplatte markiert.