Klinkergebäude

Nachdem im Dezember 1942 in der großräumlichen Planung der Amtsgruppe C im SS‑Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) der Neubau von acht Klinkergebäuden als Häftlingsunterkünften ausgewiesen wurde, begannen 1943 die Planungen für die ersten beiden zweigeschossigen Häftlingsunterkünfte. Die Entwurfsplanung vom 5. Juni 1943 (Grundrisse, Schnitte und Ansichten im Maßstab 1:100) wurde von der Amtsgruppe C – Bauwesen – erstellt. Über die Ausführungsplanung liegen keine Unterlagen vor, es ist aber davon auszugehen, dass die Zentralbauleitung der Waffen‑SS und Polizei Hamburg-Neuengamme die Ausführungsplanung und die Bauleitung innehatte. Der Baubeginn der Klinkergebäude lässt sich nicht genau feststellen. Ein Foto, das frühe Arbeiten an der Baugrube bzw. an der Gründung des östlichen Gebäudes zeigt, ist auf den 28. April 1943 datiert. Die Entwurfsplanung vom Juni 1943 zeigt, dass noch nach dem Baubeginn im April 1943 an dem Gebäude geplant wurde. Bezogen wurde das östliche Klinkergebäude Mitte 1944, das westliche im Dezember 1944. Mit dem Bau eines dritten Klinkergebäudes sollte nach Aussage des Kommandanten des KZ Neuengamme, Max Pauly, Anfang April 1945 begonnen werden.

Für die Neubauten wurde das „Schutzhaftlager“ (Häftlingslager) in östlicher Richtung vergrößert und einer der das Gelände entwässernden Gräben verlegt. Im westlichen Lagerbereich wurden die Unterkunftsbaracken 1 und 2 am Neuen Heerweg (heute Jean-Dolidier-Weg) abgerissen, um Platz für den Neubau zu schaffen.

Die neuen Häftlingsunterkünfte begrenzten nun westlich und östlich den Bereich des „Schutzhaftlagers“, zwischen ihnen standen die hölzernen Baracken.

Die 134 m langen und nur knapp 11 m breiten Klinkergebäude erinnern in ihrer schlichten, fast eintönigen Fassadengestaltung an Kasernenbauten. Es sind aber neben strukturellen und funktionalen Elementen aus dem Kasernenbau des 19. Jahrhunderts auch Fertigungsmethoden des „Neuen Bauens“ der 1920er-Jahre und mit den hochformatigen Fenstern, der Fensterteilung, dem nach allen vier Seiten abgeschrägten (Walmdach) und dem Baustoff Klinker vage traditionalistische Stilelemente aus dem so genannten „Heimatschutzstil“ übernommen worden. Einziges hervorgehobenes Element war der Mittelteil mit dem viertürigen Eingangsbereich. Die einzelnen Türen waren in der Fassade leicht durch angedeutete Zierelemente betont. Auffallend ist, dass an den Gebäuden jegliche NS‑Dekoration fehlte.

Die Klinkergebäude waren in ihrem Inneren in jeweils vier Blocks unterteilt, die in ihrer Struktur den Holzbaracken entsprachen. Durch eine Brandwand wurden die Gebäude in der Mitte geteilt und es ergaben sich pro Geschoss zwei spiegelsymmetrische Gebäudeteile. Jede dieser Einheiten hatte einen eigenen Zugang. Dies ermöglichte eine bessere Überwachung und Kontrolle der Häftlinge. In der Ursprungsplanung war noch ein „konventioneller“ Eingang vorgesehen. Auf einem nicht datierten Planfragment zeigt der Grundriss eines Klinkergebäudes nur ein Treppenhaus in der Mitte des Gebäudes, das durch eine breite Türenfront betreten wird. Von dem gemeinsamen Treppenhaus zweigen die vier einzelnen Blocks ab. Handschriftlich sind in diesen Plan aber bereits die Brandwand, die beiden Treppenhäuser und die vier Zugänge eingezeichnet.

Diese handschriftlichen Änderungen dienten offensichtlich als Grundlage für die weitere Planung. Der Plan vom 5. Juni 1943 sah dann in der Gebäudemitte tatsächlich vier nebeneinander liegende Eingangstüren vor, wobei sich durch je ein Fensterpaar zwischen den äußeren Türenpaaren eine gewisse gestaltende Struktur ergab.

Die äußeren Türen führten jeweils in die unteren Blocks, die mittleren Türen jeweils in ein eigenes, abgeschlossenes Treppenhaus, über das der dazugehörige obere Block erreicht wurde.

Eine Freitreppe über die Breite der gesamten Türenfront führte auf das 1 m erhöhte Eingangsniveau des Gebäudes.

Die einzelnen Blocks der Klinkergebäude hatten eine identische bzw. spiegelsymmetrische Raumaufteilung. An den Gebäudekern mit den zwei Treppenhäusern schlossen die Latrine (24 m2) und der Waschraum (47 m2) an. Es folgten zunächst der „Tagesraum“ (215 m2) und dann der „Schlafraum“ (271 m2). Ob der „Tagesraum“ jemals entsprechend genutzt wurde, ist nicht bekannt. Ehemalige Häftlinge berichten von einer ständigen Überfüllung der Unterkünfte. Es ist daher davon auszugehen, dass auch die „Tagesräume“, entgegen der planerischen Intention, als „Schlafräume“ genutzt wurden. Der Kommandant des KZ Neuengamme, Max Pauly, sagte vor dem britischen Militärgericht aus, dass es Ende 1944 aufgrund der völligen Überfüllung des „Schutzhaftlagers“ (Häftlingslager) vom eine Anordnung des SS‑Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes (WVHA) gegeben habe, jeden verfügbaren Raum auszunutzen. Es sei zudem „von Berlin befohlen worden, daß sämtliche Tagesräume belegt werden müssen“. Darüber hinaus wurden Häftlinge nach Aussage des ehemaligen Schutzhaftlagerführers Anton Thumann vor dem britischen Militärgericht zumindest kurzfristig auch in den Kellerräumen untergebracht.

Die Eingangsbereiche der beiden Klinkergebäude unterschieden sich. Im westlichen Klinkergebäude wurde eine große Freitreppe errichtet, die über die gesamte Breite aller vier Eingangstüren rechtwinklig in das Gebäude führte. Beim östlichen Klinkergebäude wurden hingegen einzelne Treppen errichtet, die jeweils zu einer Eingangstür führten. Wahrscheinlich hat die Nähe des Gebäudes zur Häftlingskantine mit dem so genannten Kartoffelkeller eine Treppenlösung wie bei dem westlichen Gebäude nicht zugelassen.

In der Bauphase kam es zu weiteren planerischen Veränderungen. So wurden die vorgesehenen Waschräume doppelt so groß ausgeführt wie im Entwurf vorgesehen. Dies könnte in einer bereits während der Bauphase geplanten Nutzung der „Tagesräume“ als Schlafräume begründet gewesen sein.

Die größte Abweichung vom ursprünglichen Entwurf aber war die Unterkellerung der Gebäude. Wahrscheinlich aufgrund der ungünstigen Bodenverhältnisse war ein Keller in der Planung nicht vorgesehen. Wegen des hohen Grundwasserstandes und der wasserundurchlässigen Tonschicht war ein Keller nur äußerst aufwendig zu erstellen. Auch ein Foto von ersten Ausschachtungsarbeiten vom 28. April 1943 lässt durch die Art der Baustelleneinrichtung darauf schließen, dass zu diesem Zeitpunkt eine Unterkellerung noch nicht vorgesehen war.

Aus statischen Gründen entsprechen die Raumaufteilung und die Positionen der tragenden Wände der der oberen Geschosse. Die Kellerdecke ist ein selbsttragendes Klinkergewölbe mit einer Raumhöhe von 2,65 m und im Scheitel der Gewölbebögen von 1,83 m.

Die Keller waren einerseits Arbeitsplatz für geschwächte Häftlinge, die hier in so genannten „Schonkommandos“ sitzende Tätigkeiten wie Flechtarbeiten ausführen mussten. Andererseits wurden die Häftlinge bei Fliegeralarm in die Keller getrieben und dort unter unerträglichen Bedingungen zusammengepfercht.

Die Klinkergebäude wurden entgegen dem äußeren bodenständigen Eindruck der Klinkerfassaden nicht als massiv gemauerte Gebäude errichtet, sondern als Stahlbetonskelettbauten mit Stützpfeilern von 32 cm × 32 cm und Mauervorlagen von 37 cm × 46 cm in einem Achsmaß von 5,60 m geplant. Dies ermöglichte einerseits große Spannweiten und damit große Räume, andererseits konnte durch diese Bauweise ein Gebäude sehr schnell erstellt werden. In Verbindung mit den Klinkerfassaden lässt sich hieran aber auch das „Doppelgesicht“ des „Dritten Reiches“ aufzeigen: Während für das Äußere eine traditionelle Fassade gewählt wurde, ist die Konstruktion als damals hochmoderner Stahlbetonskelettbau ausgeführt worden.

Eine gewisse Struktur erhält die Fassade durch die hervorgehobene Eingangssituation und durch eine Dreiergruppierung der Fensteröffnungen, deren Anordnung aber lediglich der Stahlbetonskelettstruktur geschuldet ist. Nur im Eingangsbereich erfuhr diese gereihte Fassadengestaltung eine leichte Wandlung, da hier die über den Türen befindlichen Fenster im Obergeschoss in Paaren gruppiert waren.

Auf den Rückseiten der Klinkergebäude wurde der Bereich des Treppenhauskerns durch einen in der Fassade hervorgehobenen Mittelteil (Mittelrisalit) und durch zwei senkrechte Fensterbänder über die gesamte Gebäudehöhe betont.

Am 2. Mai 1945 wurde das von der SS geräumte Konzentrationslager Neuengamme von der britischen Armee übernommen. Nachdem die britische Militärverwaltung das Gelände kurzzeitig als Lager für Displaced Persons (DP‑Camp) und als Lager für deutsche Kriegsgefangene genutzt hatte, wurde im November 1945 ein ziviles Internierungslager, das „Civil Internment Camp No. 6“ (CIC 6), eingerichtet. Der gesamte südliche Bereich des KZ wurde dazu in sieben eigenständige Lager unterteilt. Die britische Armee nutzte die beiden Klinkergebäude in dem als Lager II bezeichneten Teil des CIC 6, dem ehemaligen „Schutzhaftlager“ zur Unterbringung von Internierten.

Am 6. September 1948 wurde das Gelände an die Hamburger Gefängnisbehörde übergeben, die es als „Männergefängnis Neuengamme“ weiternutzte. In der Anfangszeit wurden die Klinkergebäude zur Unterbringung von Gefangenen genutzt. Nachdem bis 1950 ein Gefängnisneubau errichtet worden war, wurden die Gebäude bis 1953 umfangreich umgebaut und als Verwaltungs- bzw. als Wirtschaftsgebäude genutzt.