Normbaracken

Das nationalsozialistische Ordnungssystem war geprägt durch die Unterbringung einer großen Zahl von Menschen in vielen unterschiedlichen Lagern. Neben den früh errichteten, großen und „repräsentativen“ Kasernenstandorten der Wehrmacht und der Waffen-SS, die meist in Massivbauweise erbaut waren, war das typische Lager in Holzbauweise und nur für einen beschränkten Zeitraum errichtet – dies galt für Wehrmachts- und SS‑Lager ebenso wie für HJ- und BDM-Lager und RAD-Lager.

Entsprechend den unterschiedlichen Anforderungen wurde frühzeitig von den jeweiligen Führungsinstanzen eine Vielzahl genormter Barackentypen entwickelt, die dann auch bei allen folgenden Lagergründungen eingesetzt wurden.

Mit der Einrichtung von Konzentrationslagern wurden die verschiedenen genormten Barackentypen dann auch zur Unterbringung von Häftlingen in den Zwangsarbeits‑, „Arbeitserziehungs-, Konzentrations- und Vernichtungslagern genutzt.

Die Häftlinge wurden grundsätzlich in primitiven, schlecht oder gar nicht ausgestatteten Holzbaracken, die oftmals nicht oder nur sehr unzureichend gegen Kälte gedämmt waren, untergebracht.

Die Barackentypen basierten auf einer Modulbauweise: Gleiche, genormte Bauteile wie Boden‑, Außenwand‑, Innenwand- und Dachtafelteile konnten kombiniert und so verschieden große und verschieden ausgestattete Baracken erstellt werden. Die Modulmaße verschiedener Barackentypen waren allerdings nicht identisch.

Der Vorteil der Modulbauweise bestand einerseits in der Materialersparnis durch Massenfertigung und andererseits in der Möglichkeit des schnellen Aufbaus auch größerer Barackenlager.

Gegründet wurden die Baracken meist auf Streifenfundamenten aus Beton, auf denen dann mehrere Klinkerschichten gemauert wurden. Teils wurden auch durchgehende Betonfundamentplatten oder Pfahlgründungen verwendet.

Von der Leitung des Reichsarbeitsdienstes (RAD) wurde frühzeitig die Entwicklung genormter Holzbaracken in Auftrag gegeben. Aus mehreren Prototypen wurden ab 1934 so genannte RAD-Baracken entwickelt, die ab 1937 zum Einsatz kamen. Die zugrunde liegende Baracke setzte sich aus verschiedenen genormten Bauteilen zusammen, die in Holzskelettbauweise konstruiert waren. Die Einzelteile waren durch Schraub- und Steckverbindungen zügig montierbar und demontierbar. Neben der Giebelbreite von 8,14 m lagen dem System Module von 3,30 m Länge zugrunde. Die Wandhöhe betrug 2,55 m und die Dachhöhe 3,35 m. Die in diesem Modulsystem erstellten Baracken konnten jede beliebige Länge des Vielfachen der Modullänge von 3,30 m haben. Hinzu kamen jeweils die beiden Außenwände mit einer Stärke von 7,5 cm. Neben dem verbreiteten Typ IV, der vorwiegend als Unterkunftsbaracke genutzt wurde, kamen vor allem der Typ IVa als Abortbaracke, die Typen V und XV, die vorwiegend als Verwaltungsbaracken genutzt wurden, der Typ VII als Wirtschaftsbaracke und der Typ XVII als Waschbaracke zum Einsatz.

Vom Oberkommando des Heeres (OKH) wurden ebenfalls genormte Baracken entwickelt. Die gängigste war der Typ OKH 260 (mit oder ohne Fenster, Grundmaße 9,56 m × 4,50 m, Wandhöhe 2,65 m). Dieser Barackentyp fand beispielsweise Verwendung als Pferdestall, als Garage für Fahrzeuge und als Unterkunftsbaracke. Der Typ OKH 260/9 mit den Grundmaßen 9,56 m × 40,76 m war für die Unterbringung von bis zu 400 Kriegsgefangenen vorgesehen. Der Typ OKH 263 war in den Grundmaßen identisch mit dem Typ OKH 260, besaß aber mit 4,02 m eine größere Wandhöhe. Dieser Barackentyp fand Verwendung als Garage oder Materialbaracke.

Ein weiterer Barackentyp, der vermutlich auch vom OKH entwickelt wurde, war die 13,80 m × 49,05 m große „Einheitsmannschaftsbaracke“. Dieser Barackentyp verfügte über einen Mittelgang und 12 Räume für insgesamt 144 Personen.

Im Auftrag des Bevollmächtigten für den Holzbau wurde ferner der Typ BHF entwickelt. Baracken dieses Typs mit Längen von 5,00 m, 7,50 m, 10,00 m, 12,50 m oder 15,00 m, einer Modullänge von 1,25 m und einer Höhe von 2,75 m oder 3,25 m konnten sehr flexibel eingesetzt werden.

Auch das Amt II im SS‑Hauptamt Haushalt und Bauten (HAHuB) entwickelte Normbaracken. Seit 1941 wurde der Typ H 3 mit einer Normbreite von 12,50 m eingesetzt. Die SS‑Bauverwaltung arbeitete Barackentypen für unterschiedliche Nutzungen aus – von der „Führerunterkunft“ über Garagen bis zu Häftlingsunterkünften.

Die Normbaracken wurden unter anderem von verschiedenen zugelassenen Firmen im Deutschen Reich (oftmals Tischlereien, Holzsägewerke oder Zimmereien) entsprechend den vorgegeben Maßen hergestellt.

Die Zuteilung von Baracken im Nutzungsbereich der SS erfolgte bis zum 1. Februar 1942 durch die Abteilung Rohstoffe des Amtes II im HAHuB und danach durch die Rohstoffstelle der Amtsgruppe C im SS‑Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA). So wurde beispielsweise im November 1941 der Bauleitung der Waffen‑SS und Polizei Neuengamme von der Abteilung Rohstoffe des Amtes II im HAHuB die Bereitstellung von vier RAD-Pferdestallbaracken angekündigt. Die Baracken sollten „in erster Linie bei der Errichtung von Kriegsgefangenenlagern Verwendung finden“ Jede Pferdestallbaracke war dabei für 400 Kriegsgefangene vorgesehen.

Als ein Beauftragter der Reichsführung SS für das HAHuB war ab Januar 1940 Fritz Niederstrasser für die Betreuung und Koordinierung der zugelassenen Firmen und für die Lieferung von Baracken in alle Teile des Reiches zuständig.

Von der Vielzahl der Gebäude des Konzentrationslagers Neuengamme waren die meisten genormte Holzbaracken. Wie in den anderen Konzentrationslagern wurden auch hier vor allem die RAD-Baracke Typ IV/3 und die OKH-Baracke Typ OKH 260/9 eingesetzt. In der Raumaufteilung und in der Ausstattung unterschieden sich die Baracken jedoch teilweise beträchtlich.

Oft lässt sich aber aufgrund fehlender Unterlagen kein bestimmter Barackentyp bestimmen. Trotzdem sprechen die Maße, die Vielfachen von Modullängen entsprachen, dafür, dass es sich auch bei solchen Baracken um Normbaracken handelte. Meist wurden die Normbaracken in Einzelteilen angeliefert und dann von Häftlingskommandos vor Ort montiert. Nur wenige der Baracken wurden im KZ selbst produziert.

Zur Gründung der Baracken wurden in dem sehr feuchten Neuengammer Klima meistens 30 cm breite Betonfundamente geschüttet. Darauf wurden zwei bis drei Klinkerschichten gemauert. Die Steine mussten die Häftlinge per Hand tragend aus dem 1 km entfernten alten Klinkerwerk holen. Nur bei wenigen Baracken wurden die Stützen des Bauwerks auf einzelnen Punktfundamenten gegründet.