Die Lager-SS nach Kriegsende
Der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg erklärte die SS 1946 zur verbrecherischen Organisation. SS-Angehörige versuchten jedoch, sich der Verantwortung für die Verbrechen zu entziehen. Sie bildeten, weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit, Netzwerke und halfen sich gegenseitig, Freisprüche vor Gericht zu erreichen und Rentenansprüche durchzusetzen. Lediglich die Verbände der NS-Verfolgten protestierten gegen diese Aktivitäten ehemaliger SS-Angehöriger – zunächst ohne große Resonanz. Erst in den 1970er-Jahren entstand eine breitere Bewegung gegen alt- und neonazistische Umtriebe, an der auch antifaschistische und Gedenkstätteninitiativen und Gewerkschaften teilnahmen.
Leben in der Nachbarschaft
5.1
In ein „normales Leben“ zurückzukehren hieß für die SS-Männer, ihre Blutgruppentätowierung unter dem linken Arm zu verheimlichen, Uniformen, Schriftgut und Dokumente zu verstecken, SS-Runen oder Hakenkreuzzeichen von Kleidung und Buchdeckeln zu entfernen. Erstaunlich oft finden sich in Briefen und Berichten von ehemaligen Häftlingen des KZ Neuengamme Hinweise darauf, wo ihre ehemaligen Peiniger und Wachleute sich in der näheren und weiteren Umgebung des früheren KZ niedergelassen haben. Nachbarinnen und Nachbarn wussten von deren Vergangenheit – und nicht nur sie, auch Bürgermeister und Pastoren waren bereit, für Gerichte „Persilscheine“ auszustellen.
Leben unter falschem Namen
5.1
Diejenigen, die als Kommandanten und SS-Führer oder in anderen Positionen für die unmenschliche Behandlung der Häftlinge in den Konzentrationslagern, auch in Neuengamme, verantwortlich gewesen waren und deshalb eine Anklage fürchten mussten, versuchten sich durch Flucht in andere Länder oder durch eine neue Identität einer Strafverfolgung zu entziehen. Auch wenn sie noch von der NS-Ideologie überzeugt waren, so wussten sie doch, dass ihre Taten sie vor Gericht bringen könnten.
Pensionsansprüche und Haftentschädigungen
5.1
Ab 1951 konnten ehemalige SS-Angehörige auch für ihre Dienstzeit im Konzentrationslager Renten des öffentlichen Dienstes beanspruchen, sofern ihnen nicht eine unmittelbare Beteiligung an Verbrechen nachzuweisen war. Ehemalige KZ-Häftlinge hingegen mussten um die Anerkennung ihrer Haftjahre für Rentenleistungen teilweise lange Prozesse führen. Von den Überlebenden wurde dies als abermalige Demütigung empfunden.
Einige ehemalige SS-Männer machten Ansprüche auf Haftentschädigung für ihre Internierungs- und Untersuchungshaft geltend. Nach dem Ende der DDR versuchten Nachkommen von SS-Angehörigen, Rückforderungsansprüche auf Grundstücke zu stellen, obwohl eine Rückgabe vom Gesetzgeber ausdrücklich ausgeschlossen wurde.
Politische Auseinandersetzungen
5.2
Nach Kriegsende bildeten sich Netzwerke ehemaliger Nationalsozialisten, die der gegenseitigen Hilfe zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft und der Entlastung vor Gericht dienten. Zunächst protestierten nur die Verbände ehemaliger KZ-Häftlinge und Naziverfolgter und einzelne Initiativen. Während des Kalten Krieges erhielt vor allem die KPD von der Nationalen Front in der DDR Unterlagen über ehemalige SS-Angehörige in öffentlichen Ämtern. In den 1970er-Jahren entwickelte sich in der bundesdeutschen Gesellschaft ein breiterer Widerstand gegen nazistische Bestrebungen. In der DDR galt der Nationalsozialismus durch die Staatsgründung und das Bekenntnis zum Antifaschismus als überwunden und alleiniges Problem des „Westens“.
Suche nach der Vergangenheit – Familienangehörige der SS
5.3
Nur wenige Kinder von Täterinnen und Tätern suchen die Spuren ihrer Eltern. Zu stark ist die Furcht, zu erfahren, für welche Verbrechen der Vater als Mitglied der SS oder die Mutter als SS-Aufseherin verantwortlich war. Leichter fällt die Suche denjenigen, die den jeweiligen Elternteil oder Großelternteil nie kennen gelernt haben. Die größere Distanz macht es vor allem den Enkelinnen und Enkeln leichter, sich mit der Geschichte ihrer Familie während des Nationalsozialismus auseinander zu setzen. Fast allen Familien von Tätern ist gemeinsam, dass über den Nationalsozialismus und das Verhalten von Angehörigen nicht gesprochen wurde.
Das Bild der SS bei Besucherinnen und Besuchern der KZ-Gedenkstätte
5.4
Seit 1981 haben Besucherinnen und Besucher der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Kommentare in ausgelegte Bücher bzw. seit 1995 auf Blätter an einer „Meinungswand“ in der Ausstellung geschrieben. Oft enthalten die Kommentare auch Reflexionen über die Verantwortung der SS für die Leiden und das Sterben der Häftlinge in Neuengamme. Es finden sich aber auch Eintragungen neonazistischen Inhalts.