Geländeplan

Die Lager-SS

Verbrechen im KZ Neuengamme vor Gericht

Verbrechen im KZ Neuengamme vor Gericht

Die Schutzstaffel (SS) der NSDAP war eine politische Organisation, die sich als die Elite der NS-Bewegung begriff. Sie war für die Konzentrationslager und damit für die Lebens­bedingungen der Häftlinge verantwortlich. Die Tätigkeit in einem KZ erschien attraktiv, da sie unter anderem ein sicheres Einkommen, die Gleichstellung mit dem öffentlichen Dienst und ab 1939 die Möglichkeit bot, vom Fronteinsatz freigestellt zu werden. Im Hauptlager und den über 80 Außenlagern des KZ Neuengamme waren von 1938 bis 1945 bis zu 4500 SS-Angehörige tätig. Nur 109 von ihnen wurden wegen Verbrechen bis 1948 vor britischen Militärgerichten angeklagt. In beiden deutschen Staaten fanden lediglich 142 Ermittlungs- und Strafverfahren statt. Die meisten Täterinnen und Täter wurden nicht zur Verantwortung gezogen.

Der Hauptprozess 1946

1.1

Die frühen Prozesse gegen SS-Personal des KZ Neuengamme fanden vor britischen Militärgerichten statt.
Im ersten Prozess vom 18. März bis 3. Mai 1946, der im Curio-Haus in Hamburg stattfand, waren 14 SS-Männer angeklagt, unter ihnen Angehörige der letzten Lagerleitung. Verhandelt wurden die Praxis der „Vernichtung durch Arbeit“, Vergasungen sowjetischer Kriegsgefangener und andere Verbrechen. Elf der Angeklagten, darunter der Kommandant des KZ Neuengamme, Max Pauly, wurden zum Tode verurteilt, drei erhielten Freiheitsstrafen.


1.1

Britische Prozesse 1945–1948

1.1

Überlebende Häftlinge informierten die britischen Ermittler über Verbrechen im KZ Neuengamme, identifizierten Täterinnen und Täter und sagten als Zeuginnen und Zeugen aus. Insgesamt fanden acht Militärgerichtsprozesse zum Hauptlager und 26 zu den Außenlagern statt. Verhandelt wurden nur Verbrechen an ausländischen Häftlingen. Angeklagt wurden neben SS-Angehörigen weiteres Wachpersonal sowie vereinzelt Funktionshäftlinge und Angehörige von Firmen, in denen Häftlinge Zwangsarbeit verrichten mussten. Auch 19 ehemalige SS-Aufseherinnen standen vor Gericht.


Britisches Militärgericht: Todesurteil für Frahm und Jauch

1.2

Die Ermordung von 20 jüdischen Kindern und 28 Erwachsenen am 20. April 1945 am Bullenhuser Damm in Hamburg war Gegenstand von Prozessen vor britischen, bundesdeutschen und DDR-Gerichten.
Bereits im britischen Hauptprozess zu Verbrechen im KZ Neuengamme waren die Morde Verhandlungsgegenstand. In einem gesonderten Verfahren wurden die SS-Männer Ewald Jauch und Johann Frahm, die an der Erhängung der Kinder beteiligt waren, am 31. Juli 1946 zum Tode verurteilt. Auch gegen Arnold Strippel, als Tatbeteiligter mitverantwortlich, wurde ermittelt; er war jedoch untergetaucht. Der mitangeklagte SS-Mann Wilhelm Brake wurde vom Tatvorwurf des Mordes freigesprochen.


Hamburg: Kein Prozess gegen Strippel

1.2

Arnold Strippel, der als verantwortlicher SS-Offizier an den Morden im Bullenhuser Damm am 20. April 1945 beteiligt war, wurde nie zur Verantwortung gezogen. Auch nach Anzeigen ehemaliger KZ-Häftlinge und Angehöriger der Ermordeten wurden die Ermittlungen immer wieder eingestellt.
Nach der letzten Anzeige 1979 ordnete die Hamburger Justizsenatorin Eva Leithäuser auf öffentlichen Druck Ende 1983 Klageerhebung an. Das Hamburger Landgericht stellte das Verfahren zum Mord an 20 Kindern und 28 Erwachsenen jedoch 1987 wegen Verhandlungsunfähigkeit des 75-jährigen Beschuldigten ein. Strippel starb 1994 im Alter von 83 Jahren in Frankfurt am Main.

Magdeburg: Lebenslänglich Zuchthaus für Heißmeyer

1.2

Der Arzt Dr. Kurt Heißmeyer hatte 1944/45 an Häftlingen im KZ Neuengamme medizinische Experimente mit Tuberkuloseerregern durchgeführt. 1946 eröffnete er eine eigene Praxis in Magdeburg. Obwohl das Ministerium für Staatssicherheit der DDR Heißmeyer seit den 1950er-Jahren observierte, wurde er in der DDR erst im Dezember 1963 verhaftet. Im Juni 1966 verurteilte ihn das Bezirksgericht Magdeburg gemäß Kontrollratsgesetz Nr. 10 wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu lebenslänglicher Haft. Im August 1967 starb er im Zuchthaus Bautzen.


1982 – Freispruch für Kümmel

1.3

Walter Kümmel wurde 1946 von einem britischen Militär­gericht wegen Tötung und Misshandlung von Häftlingen zu zehn Jahren Haft verurteilt; 1952 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen. In diesem Verfahren war seine Beteiligung als Leiter des Frauenaußenlagers Hamburg-Eidelstedt an der Tötung von zwei Neugeborenen noch nicht bekannt.
1980 erfolgte die Anklage wegen der Verbrechen in Eidelstedt. Die Hamburger Staatsanwaltschaft konnte nicht eindeutig nachweisen, dass das eine der Kinder lebend geboren worden war. In der Tötung des anderen Kindes sah das Gericht zwar Beihilfe zum Mord, allerdings habe Kümmel nicht aus „niedrigen Beweggründen“ gehandelt. Da die Verjährungsfrist bereits abgelaufen war, erfolgte 1982 ein Freispruch.


Hamburger Verfahren 1946–2004

1.3

1946 wurde das erste Verfahren gegen einen ehemaligen SS-Angehörigen des KZ Neuengamme durch die Hamburger Staatsanwaltschaft eingeleitet. In den ersten Jahren führten vor allem Anzeigen ehemaliger Häftlinge zu Ermittlungen.
Insgesamt wurden in Hamburg über 100 Verfahren gegen SS-Angehörige des KZ Neuengamme bzw. der Außenlager eingeleitet. In zehn Fällen kam es zu einer Anklage, in sieben Fällen zu einer Verurteilung. Ein letztes Vorermittlungsverfahren gegen einen ehemaligen SS-Angehörigen des KZ Neuen­gam­me wurde 2004 von der Staatsanwaltschaft Hamburg nach dem Tod des Beschuldigten eingestellt.


Bundesdeutsche Verfahren

1.3

Auch an Orten ehemaliger Außenlager fanden Prozesse statt. Die Arbeit der „Zentralen Stelle der Landesjustiz­verwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigs­­burg führte seit den 1960er-Jahren außer in Hamburg auch in Hannover, Braunschweig, Bremen und anderen Städten zu Ermittlungsverfahren bzw. Prozessen, die aber überwiegend eingestellt wurden.
Im Auschwitz-Prozess (1963–1965, Frankfurt am Main) und im Majdanek-Prozess (1975–1981, Düsseldorf) waren auch Angehörige der Neuengammer Lager-SS angeklagt. Beide Prozesse erlangten weltweite Aufmerksamkeit. Die Verbrechen im KZ Neuengamme waren jedoch nicht Gegenstand der Verfahren.


Ermittlungen und Prozesse in der DDR

1.3

Seit der Staatsgründung 1949 stand die Bekundung von Glaubens-, Rassen- oder Völkerhass in der DDR unter Strafe.
In der SBZ und in der DDR kamen Anzeigen oft aus der Verwandtschaft, dem Freundeskreis oder der Nachbarschaft. Auffällig ist die Häufung von Ermittlungsverfahren gegen SS-Aufseherinnen aus den Außenlagern Ende der 1940er-Jahre. Neben Freisprüchen ergingen auch Haftstrafen.
1951 wurde ein Todesurteil gemäß Kontrollratsgesetz Nr. 10 wegen Verbrechen im KZ Neuengamme vollstreckt.
Ab Anfang der 1960er-Jahre lagen die Ermittlungen wegen Verbrechen in Konzentrationslagern zentral in der Hand des Ministeriums für Staatssicherheit.