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Die Häftlingsgruppen

Die Häftlingsgruppen

Deutsche Häftlingsgruppen

Deutsche Häftlinge (einschließlich der österreichischen, die ebenfalls als „reichs­­deutsch“ galten) bildeten im KZ Neuengamme zunächst die größte Grup­pe. Ursprüng­lich waren die Konzentrationslager vor allem für politische Gegnerinnen und Gegner des Nationalsozialismus ein­­­­ge­­­­richtet worden. Ab 1937 wurden zunehmend andere Verfolgte eingeliefert – Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, angeblich Asoziale und Kriminelle. Die SS kennzeichnete die jeweiligen Haftgründe durch verschieden­­­farbige Dreiecke an der Kleidung. Die Zahl der „reichsdeutschen“ Häftlinge im KZ Neuengamme betrug insgesamt ca. 9200, unter ihnen ca. 400 Frauen in den Außenlagern.

2.1

„Vorbeugehäftlinge“ und „Sicherungsverwahrte“

2.1

­Etwas mehr als die Hälfte der ca. 9200 deutschen Häftlinge im KZ Neuengamme hatte die Kriminalpolizei auf der Grund­­­lage des „Vorbeuge-Erlasses“ vom 14. Dezember 1937 als „Kriminelle“ eingewiesen. Zu ihnen gehörten auch die ersten 100 Häftlinge, die im Dezember 1938 ankamen. Im KZ wur­den sie als „Berufsverbrecher“ (BV) bezeichnet und mit einem grünen Winkel gekennzeichnet. Schon mehrere kleine Dieb­stahls- oder Betrugsdelikte konnten zur Einlieferung führen, auch wenn die Strafen bereits verbüßt waren. Außerdem lie­ferte die Justiz nach einer Vereinbarung vom 18. September 1942 zwischen Justizminister Thierack und dem Reichs­­­füh­rer SS, Himmler, Strafgefangene zur „Vernichtung durch Arbeit“ an die SS aus. Diese Häftlinge wurden im KZ ab Ende 1942 als „Sicherungsverwahrte“ (SV) bezeichnet. Sie trugen den grünen Winkel mit der Spitze nach oben.


Deutsche politische Häftlinge

2.1

Ein Teil der deutschen Häftlinge war aus politischen Gründen inhaftiert, unter ihnen vor allem Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten sowie vereinzelt Liberale und Konservative und sogar einige ehemalige NSDAP-Anhänger. Andere lieferte die Gestapo ein, weil sie kritische Meinungen geäußert, ausländische Sender gehört oder politische Witze erzählt hatten. Viele der politischen „Schutzhäftlinge“ hatten vor der Einlie­ferung in das KZ Neuengamme oft schon mehrere Jahre in anderen Konzentrationslagern und Haftstätten verbracht, z. B. nach einer gerichtlichen Verurteilung wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“. Bereits mehrfach Verhaftete („politisch Rückfällige“) waren durch einen Balken über dem roten Winkel gekennzeichnet. Die Gesamtzahl der deutschen politischen Häftlinge im KZ Neuengamme (ohne Polizeihäftlinge) wird auf 1000 bis 1500 geschätzt.


Polizeihäftlinge

2.1

Im Sommer 1943 begann die Hamburger Gestapo wegen der Überfüllung des Polizeigefängnisses Fuhlsbüttel, politische Gefangene in das „Arbeitserziehungslager“ Hamburg-Wilhelmsburg und in das KZ Neuengamme zu verlegen. In Neuengamme bildeten diese „Polizeihäftlinge“ eine eigene Gruppe, die durch Sondernummern mit der Vorziffer „0“ und gelbe Winkel gekennzeichnet wurde. Meist hatten die Polizeihäftlinge halbseitig rasiertes Kopfhaar und trugen eine violette Armbinde mit der Aufschrift „Torsperre“, da sie nicht außerhalb des Lagers eingesetzt werden durften.
Viele Polizeihäftlinge wurden nach einigen Wochen oder Monaten ins Hamburger Untersuchungsgefängnis überführt, weil ein Prozess gegen sie durchgeführt werden sollte. Andere wurden als Häftlinge des KZ Neuengamme über­nommen oder in andere Konzentrationslager wie Mauthausen und Auschwitz verlegt.


„Asoziale“

2.1

Mindestens 1200 deutsche Häftlinge waren im KZ Neuengam­me mit einem schwarzen Winkel als „Asoziale“ gekennzeichnet. Unter ihnen waren viele Arme, Obdach­­­lose, Alkoholkranke und so genannte „Arbeitsscheue“. Während des Krieges erhielten zunehmend auch Häftlinge den schwarzen Winkel, die gegen Kriegswirtschaftsbestimmungen verstoßen, uner­laub­ten Umgang mit Kriegsgefangenen, ausländischen Zwangsarbei­terinnen oder Zwangsarbeitern gepflegt oder die scharfen Arbeitsvorschriften nicht ein­gehalten hatten. Die Kriminalpoli­zei lieferte bis 1945 insgesamt über 70 000 Menschen als „Kriminelle“ und „Asoziale“ in die Konzentra­tions­lager ein; etwa die Hälfte von ihnen wurde dort ermordet.


AV-Station

2.1

Deutsche Jüdinnen und Juden

2.1

Im KZ Neuengamme und seinen Außenlagern waren mehrere Hundert deutsche Jüdinnen und Juden inhaftiert. Die jüdischen Häftlinge wurden besonders drangsaliert, was zu einer noch höheren Todesrate als bei den anderen Häftlings­gruppen führ­­te. Die ersten Juden wurden 1940 aus dem KZ Sachsen­hausen nach Neuengamme verlegt. Im Frühjahr 1942 selektierte eine Ärzte­kom­mis­sion jüdische Häftlinge, die in Bernburg/Saale mit Giftgas ermordet wurden. Die Übrigen deportierte die SS im Herbst des Jahres ins KZ Auschwitz. Eine weitaus größere Zahl jüdischer Häftlinge aller Nationalitäten, insgesamt über 12 000 – in ihrer Mehrzahl Frauen –, kam ab Frühjahr 1944 ins KZ Neuengamme. Viele von ihnen waren in Auschwitz zur Zwangsarbeit im Reichsgebiet ausgewählt worden. Sie wurden in der Regel direkt in die Außenlager bei den vorge­sehenen Arbeitsstellen transportiert.


Sinti und Roma

2.1

Sinti und Roma bilden eine ethnische Minderheit, deren Geschichte von Ausgrenzung und Verfolgung gekennzeichnet ist. Nach 1933 trat der Rassenhass der Nationalsozialisten hinzu. Ebenso wie die jüdische Bevölkerung wurden die als „Zigeuner“ bezeichneten Sinti und Roma mit den Nürnberger Gesetzen von 1935 zunehmend entrechtet. Drei Jahre später erfolgte im Zusammenhang mit der Verfolgung „Asozialer“ eine erste Masseneinweisung in die Konzentrationslager. Ab 1940 begannen Deportationen in Lager und Gettos in den besetzten Ländern Osteuropas, unter anderem ins Warschauer Getto. Mit dem Erlass Himmlers vom 16. Dezember 1942, der die Deportation ins KZ Auschwitz anordnete, wurde ihre systematische Ermordung eingeleitet. Der nationalsozialistischen Herrschaft fielen mehrere Hunderttausend Sinti und Roma aus ganz Europa zum Opfer. Über ihr Schicksal im KZ Neuengamme ist wenig bekannt. Insgesamt waren mehrere Hundert Sinti und Roma hier inhaftiert.


Andere deutsche Häftlingsgruppen

2.1

Die Zeugen Jehovas wurden seit 1933 in Deutschland verfolgt. Im KZ Neuengamme waren fast 200 Glaubensangehörige inhaftiert. Die SS setzte sie oft zu besonderen Arbeiten ein, da sie als gewissenhaft galten und die Flucht ablehnten. Sie pflegten untereinander eine enge Gemeinschaft.
Auch die Homosexuellen bildeten im KZ Neuengamme nur eine kleine Gruppe. 1935 wurde der § 175 erheblich ver­schärft. Insgesamt wurden von 1933 bis 1945 ca. 10 000 homosexuelle Männer in Konzentrationslager verschleppt. Weibliche Homosexualität stand zwar nicht unter Strafe, doch kamen teilweise auch lesbische Frauen als „Asoziale“ ins KZ.
Im KZ Neuengamme waren ca. 100 SAW-Häftlinge („Sonder­abteilung Wehrmacht“) inhaftiert – ehemalige Wehrmachtsangehörige, die wegen „besonders schlechter Führung“ aus Sonderabteilungen und Straflagern der Wehrmacht ins KZ eingeliefert wurden.


Ausländische Häftlingsgruppen

Ab 1941 kam die Mehrheit der Häftlinge im KZ Neuengamme aus den von Deutschland besetzten Gebieten. 1941/42 bildeten die polnischen, ab 1942/43 die sowjetischen Häftlinge die größte Gruppe im Lager. Insgesamt betrug der Anteil der ausländischen Häftlinge im KZ Neuengamme über 90 Prozent. Mehr als die Hälfte von ihnen kam aus Ost­europa, große Gruppen aber auch aus Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Dänemark. Inhaftierungsgründe waren vor allem Widerstand gegen die deutsche Besatzung, die Bestrafung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern und die Verschleppung als Geiseln und als Opfer von „Vergeltungsaktionen“. Ab 1941 kamen auch sowjetische Kriegsgefangene ins KZ Neuengamme, erst 1944/45 in größerer Zahl auch ausländische Jüdinnen und Juden.

Europa Karte

2.2

Häftlinge aus Österreich

2.2

Nach der Besetzung Österreichs im März 1938 begann sofort die Verfolgung der politischen Gegnerinnen und Gegner, der jüdischen Bevöl­kerung und anderer Minderheiten. Am 1. April 1938 wurden die ersten politischen Gefangenen ins KZ Dachau gebracht. Im Sommer 1938 entstand in Mauthausen bei Linz ein großes KZ. Nach Kriegsbeginn folgte die weit­gehende Konzen­tration der österreichischen Jüdinnen und Juden in Wien und ihre systematische Deportation. Eine ähnliche Verfolgung erlitten Sinti und Roma.
Bei den österreichischen Häftlingen im KZ Neuengamme handelte es sich überwiegend um politische sowie um einige als „Kriminelle“ eingewiesene Häftlinge. Sie kamen größten­­­­­­­­­­teils aus den KZ Mauthausen oder Dachau. Insgesamt waren ca. 300 Männer und 20 Frauen aus Österreich im KZ Neuen­gamme und den Außenlagern inhaftiert.


Häftlinge aus Polen

2.2

Aus Polen verschleppte die SS ab 1940 politische Gegner und Menschen, die sich deutschen Anordnungen widersetzten, sowie Angehörige der Intelligenz ins KZ Neuengamme, meist über andere Lager (vor allem über Auschwitz). Große Teile Polens sollten von Deutschen besiedelt und die Bevölkerung zu einem „führerlosen Arbeitsvolk“ herabgestuft werden.
Ab 1942 kamen in großer Zahl Polinnen und Polen, die in Deutschland gegen Arbeitsvorschriften oder „Polenerlasse“ verstoßen hatten, ins KZ Neuengamme. Nach dem Warschauer Aufstand im Sommer 1944 deportierte die SS viele Männer und Frauen in Außenlager. Im selben Jahr wurden Jüdinnen und Juden aus dem Getto Łódź über das KZ Auschwitz in Außenlager des KZ Neuengamme gebracht.
Aus Polen waren ca. 13 000 Männer und ca. 2700 Frauen im KZ Neuengamme und seinen Außenlagern inhaftiert, darunter über 5000 Jüdinnen und Juden.


Häftlinge aus der Tschechoslowakei

2.2

Unter den tschechoslowakischen Häftlingen im KZ Neuen­gamme befanden sich viele Menschen, die aus politischen Gründen inhaftiert waren, z. B. Studenten die nach den Un­ruhen an den tschechischen Hochschulen im Herbst 1939 verhaftet worden waren, viele Intellektuelle und andere politische Gegner. Sie kamen ab 1940 meist über andere Konzentrations­lager ins KZ Neuengamme. Außerdem wurden Arbeiterinnen und Arbeiter inhaftiert, die gegen Vorschriften in deutschen Betrieben verstoßen hatten. 1944 kamen tschechische Jüdinnen aus Theresienstadt über Auschwitz in Außenlager des KZ Neuengamme. Insgesamt waren ca. 1600 tschecho­slowakische Häftlinge im KZ Neuengamme inhaftiert, davon etwa die Hälfte Frauen (fast ausnahmslos Jüdinnen), außerdem eine geringe Zahl Deutscher aus den sudetendeutschen Gebieten.


Häftlinge aus den Niederlanden, Belgien und Luxemburg

2.2

Aus den Niederlanden waren ca. 6850 Menschen im KZ Neuengamme inhaftiert, davon ca. 250 Frauen. Aus Belgien kamen ca. 3500 Männer und ca. 150 Frauen, aus Luxemburg ca. 50 Männer. Die meisten waren aus politischen Gründen verhaftet worden, vor allem wegen „deutschfeindlichen“ Verhaltens, Gehorsamsverweigerung gegenüber Besatzungs­dienststellen und aktiven Widerstands. Auch der Versuch, sich der Arbeit in Deutschland zu entziehen, konnte zur Verhaftung führen. Die deutsche Besatzungsmacht ging mit immer härteren Maßnahmen gegen den zunehmenden Widerstand vor. Niederländische Verhaftete kamen meist aus dem Lager Amersfoort, belgische aus Fort Huy und aus der Festung Breendonk ins KZ Neuengamme. Aus Putten (Niederlande) und Meensel-Kiezegem (Belgien) brachte die Gestapo 1944 bei „Vergeltungsmaßnahmen” verhaftete Gruppen von Männern ins KZ Neuengamme.


Häftlinge aus Frankreich und Spanien

2.2

In Frankreich reagierte das Besatzungsregime auf Wider­stands­aktionen und organisierte Aktionen, mit denen versucht wurde, sich der Zwangsarbeit in Deutschland zu entziehen, im Frühjahr 1944 mit Massendeportationen in deutsche Konzentrationslager. Innerhalb weniger Monate kamen Tausende Verhaftete über Compiègne ins KZ Neuen­gamme. Etwa 300 von ihnen galten als wichtige Persönlich­keiten, die separat untergebracht wurden und nicht arbeiten mussten. Unter den insgesamt ca. 11 650 französischen Gefangenen im KZ Neuengamme waren ca. 650 Frauen.
Spanier, die nach dem Ende des Bürgerkrieges nach Frankreich geflohen waren, wurden häufig nach der Heranziehung zur Zwangsarbeit in Deutschland aufgrund von Verstößen gegen Arbeitsvorschriften oder wegen Beteiligung am Widerstand in Frankreich verhaftet. Antifaschisten verschiedener Nationalität, die die spanische Republik im Bürgerkrieg verteidigt hatten, wurden von der Vichy-Regierung an die deutsche Besatzungsmacht ausgeliefert.


Häftlinge aus Jugoslawien

2.2

Nach dem „Straffeldzug“ gegen Jugoslawien im April 1941 wurde das Land zerstückelt: Kroatien (mit Bosnien) wurde unter Führung der faschistischen Ustascha zum selbst­ständigen Staat erklärt, Teile des übrigen Landes fielen an Großdeutschland, Italien, Ungarn und Bulgarien. Innerhalb kurzer Zeit formierte sich Widerstand. Den Partisanen gelang es, große Gebiete unter ihre Kontrolle bringen.
Viele Menschen in Jugoslawien wurden wegen politischer Gegnerschaft, bei Aussiedlungen und anderen Verhaftungsaktionen inhaftiert, darunter auch Jüdinnen und Juden, die der Vernichtung in dem von Deutschland besetzten Serbien entkommen waren. Jugoslawische Zwangsarbeiter­innen und Zwangsarbeiter in Deutschland wurden bei Ver­stößen gegen Vorschriften oft in ein KZ eingewiesen. Im KZ Neuengamme waren ca. 1000 Männer und ca. 250 Frauen aus Jugoslawien, meist aus Slowenien, inhaftiert.


Häftlinge aus der Sowjetunion

2.2

Etwa 2,8 Millionen Menschen wurden 1942 bis 1944 sys­­­te­­­matisch aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion zum Arbeits­einsatz nach Deutschland verschleppt, davon mehr als die Hälfte Frauen. Hinzu kamen sowjetische Kriegs­gefan­gene. In den Arbeitslagern und Betrieben herrschten für die „Ostarbeiterinnen“ und „Ostarbeiter“ äußerst schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die häufigsten Gründe für die KZ-Einweisung waren Verstöße gegen die strengen Arbeitsvorschriften sowie Fluchtversuche.
Im KZ Neuengamme bildeten die mindestens 23 000 russi­schen und ukrainischen Häftlinge (davon ca. 2000 Frauen) die größte Gruppe. Da sie als „rassisch minderwertig“ galten, wurden sie besonders schlecht behandelt und kamen in großer Zahl um. Durch den starken Bedarf an Facharbeitskräften in der Rüstungsproduktion gelangten einige von ihnen aber auch in bessere Arbeitsstellen.


Sowjetische Kriegsgefangene im „Kriegsgefangenen-Arbeitslager“

2.2

Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Bis zum Jahresende gerieten ca. drei Millionen sowjetische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft.
In den Kriegsgefangenenlagern wurden Juden und kommunistische Funktionäre ausgesondert und ermordet. Im Winter 1941/42 starben rund zwei Millionen sowjetische Kriegs­gefangene an Hunger, Kälte, Krankheiten und unmenschlicher Behandlung.
Im Oktober 1941 lieferte die Wehrmacht 10 000 sowjetische Kriegsgefangene an die SS aus. Aus dem Stammlager X D Wietzendorf kamen 1000 von ihnen ins KZ Neuengamme, wo sie in einem als „Kriegsgefangenen-Arbeitslager“ abgeteilten Lagerbereich zusammengepfercht wurden. Innerhalb von acht Monaten starben 652 von ihnen. Die Überlebenden wurden im Juni 1942 ins KZ Sachsenhausen verlegt; ihr weiteres Schicksal ist unbekannt.


Häftlinge aus Italien

2.2

Im September 1943 schloss Italien einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Die deutsche Wehrmacht besetzte daraufhin Mittel- und Norditalien und die italienisch okkupierten Gebiete auf dem Balkan. Um den verhafteten italienischen Soldaten den Kriegsgefangenenstatus zu verweigern, wurden sie als „Militärinternierte“ bezeichnet und in großer Zahl zur Zwangsarbeit in Deutschland eingesetzt, wo sie besonders schweren Demütigungen ausgesetzt waren. Durch die massive deutsche Repressionspolitik in Italien mit Massakern, Geisel­erschie­ßungen und Deportationen in die Konzentrationslager erhiel­ten die Partisanen starken Zulauf. Im KZ Neuengamme waren mindestens 1100 Männer und ca. 100 Frauen aus Italien inhaftiert, darunter Partisanen und Zivilisten aus Partisanen­gebieten, Streikteilnehmer und Kriegsgefangene.


Häftlinge aus Dänemark und Norwegen

2.2

Im April 1940 besetzte die deutsche Wehrmacht Dänemark und Norwegen. 1943 wurde der Widerstand in Dänemark so stark, dass die Besatzer das Kriegsrecht verhängten. In Norwegen ent­­­wi­­ckelte sich schon 1940 starker Widerstand und die Gestapo nahm in großem Umfang Verhaftungen vor. Ab Herbst 1943 depor­tierte die SS zunächst Hunderte, später Tausende Dänen in deutsche Hafteinrichtungen. Im September 1944 wurden fast 2000 dänische Polizisten über das KZ Neuengamme ins KZ Buchenwald gebracht, am 5. Oktober 141 Grenzgendarmen ins KZ Neuengamme. Weitere Transporte aus dem Polizeigefange­nen­­lager Frøslev an der deutsch-dänischen Grenze folgten.
Norwegische Häftlinge kamen fast ausschließlich durch die Rettungsaktion des Schwedischen Roten Kreuzes ab März 1945 aus anderen deutschen Haftstätten ins KZ Neuen­gamme, um nach Skandinavien evakuiert zu werden. Einschließlich dieser Aktion waren insgesamt ca. 4400 dänische und 2800 norwegische Gefangene im KZ Neuengamme inhaftiert.


Häftlinge aus Griechenland und anderen Ländern

2.2

Im April 1941 besetzte die deutsche Wehrmacht Griechenland. Die jüdische Bevölkerung wurde in Vernichtungslager depor­tiert. Auf die Streiks und den Partisanenkrieg des griechischen Widerstandes reagierte die deutsche Besatzungsmacht mit Massakern, Geiselerschießungen und Deportationen. Griechische Arbeiter in Deutschland wurden nach Verstößen gegen die Arbeitsvorschriften verhaftet. Im KZ Neuengamme waren ca. 1200 Gefangene aus Griechenland inhaftiert. Am 4. Juni 1944 kam ein Transport mit 850 Gefangenen direkt aus Athen nach zehntägiger Fahrt in Neuengamme an.
Im KZ Neuengamme und seinen Außenlagern waren Men­schen aus mehr als 20 Nationen inhaftiert. Aus einigen Ländern kamen nur wenige Gefangene, z.B. aus Großbritannien, der Schweiz, Albanien oder Portugal. Auch Menschen aus außer­europäischen Ländern befanden sich unter den KZ-Gefangenen.


Häftlinge aus Ungarn

2.2

Ungarn hatte als Verlierer des Ersten Weltkrieges zwei Drittel seines Territoriums und drei Fünftel der Bevölkerung eingebüßt. Es war vor und im Zweiten Weltkrieg mit Deutschland verbündet. Die verlorenen Gebiete erhielt Ungarn ab 1938 mit deutscher Unterstützung zurück. Im März 1944 wurde Ungarn von deutschen Trup­­pen besetzt, die jüdische Bevölkerung wurde deportiert. Über 437 000 Jüdinnen und Juden wurden ins KZ Auschwitz deportiert, 330 000 von ihnen wurden dort ermordet, die anderen zur Zwangsarbeit in deutschen KZ-Außenlagern ausgewählt .
Im November 1944 kam im KZ Neuengamme auch ein Trans­port von 830 jüdischen Männern direkt aus Budapest an. Fast alle der ca. 7200 ungarischen Gefangenen im KZ Neuen­gamme waren jüdische Häftlinge, ca. 5800 von ihnen Frauen.


Häftlinge aus den baltischen Ländern

2.2

Nach der Besetzung des Baltikums im Sommer 1941 wurde aus Estland, Lettland, Litauen und Weißrussland das „Reichs­kommissariat Ostland“ gebildet. SS-­Kommandos ermordeten schon 1941 den größten Teil der jüdischen Bevölkerung.
Die Überlebenden wurden in Gettos und Zwangsarbeitslager deportiert. Für politische Gegner und andere Verfolgte errich­tete die Sicherheitspolizei „Arbeits­- und Erziehungslager“.
Aus dem Baltikum waren ca. 3800 Menschen im KZ Neuen­gamme inhaftiert, davon ca. 3300 aus Lettland. Die meisten von ihnen kamen zwischen Juli und Oktober 1944 in drei Transporten aus dem „Arbeitserziehungslager“ Salaspils bei Riga. Der Anteil der Frauen wird auf einige Hundert geschätzt, darunter auch Jüdinnen. Ein großer Teil von ihnen kam 1944 über das KZ Stutthof in die Außenlager Hamburg­-Langenhorn und Hannover­-Langenhagen.


Jüdische Häftlinge aus den besetzten Gebieten

2.2

Die jüdische Bevölkerung Ost- und Mittelosteuropas wurde unter der deutschen Besatzung in Gettos und Arbeitslagern zusammengepfercht und ab Mitte 1941 größtenteils systema­tisch ermordet. Auch Jüdinnen und Juden aus Deutschland, West- und Südeuropa deportierte die Gestapo in die Gettos und Vernichtungslager im Osten. Als 1944 aufgrund der Zerstörungen durch alliierte Bombenangriffe der Arbeits­kräftemangel in Deutschland nicht mehr durch neue Zwangs­arbeiterinnen und Zwangsarbeiter ausgeglichen werden konnte, brachte die SS Jüdinnen und Juden über Auschwitz in Konzentrationslager und KZ-Außenlager in Deutschland. Im Konzentrationslager Neuengamme und seinen Außenlagern waren insgesamt ca. 13 000 jüdische Gefangene – überwiegend aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn – inhaftiert, davon weit mehr als die Hälfte Frauen.


Kinder und Jugendliche

2.2

Obwohl ursprünglich eine Haftstätte für Erwachsene, waren im KZ Neuengamme auch Jugendliche, ab 1944 sogar Kinder inhaftiert. Obwohl für polnische Häftlinge und für „Ostarbei­­terinnen“ und „Ostarbeiter“ offiziell ein Mindestalter von 16 Jahren galt, waren auch Jüngere unter den Eingelieferten. Schon mit dem ersten großen Transport aus dem KZ Auschwitz im April 1941 kamen viele Jugendliche in das KZ Neuengamme.
Ab 1942 wur­den immer wieder junge Zwangsarbeiterinnen und Zwangs­­arbeiter eingeliefert. 1944 befanden sich viele junge Menschen unter anderem in den Transporten aus der Sowjet­union, aus dem Baltikum und aus Frankreich. Auch unter den jüdischen Häftlingen aus Ungarn, der Tschechoslowakei und Polen waren viele Jugendliche. 20 jüdische Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren aus verschiedenen Ländern brachte die SS Ende 1944 für medizinische Experimente aus dem KZ Auschwitz ins KZ Neuengamme.


Verständigungsprobleme und Lagersprache

2.3

Zwischen den Häftlingen gab es große Verständigungsschwie­rig­­­­kei­ten. Die meisten konnten sich nur mit Mithäftlingen ihrer Muttersprache unterhalten. Unter den Schlägen der Aufseher mussten sie jedoch schnell lernen, deutsche Kommandos zu verstehen und ihre Häftlingsnummer auf Deutsch auszusprechen. Auch deutsche Militärlieder mussten sie beim Aus- und Einmarsch singen. Im Lager entstand eine Umgangssprache, die neben deutschen Ausdrücken aus Gefängnissen und dem militärischen Jargon der SS auch Begriffe aus anderen Spra­chen, be­sonders dem Russischen, enthielt – eine aus der Not geborene Kürzel­sprache. Häftlinge mit Fremdsprachenkenntnissen wurden manchmal als Dolmetscher eingesetzt.


Lagerhierarchie

2.3

Die SS teilte die Häftlinge nach ihrer rassenideologischen Wertskala ein. Angehörige der als „rassisch minderwertig“ eingestuften Häftlingsgruppen standen in der Lagerhierarchie weit unten. Sie mussten deshalb noch mehr Entbehrungen erdulden als ihre Mitgefangenen. Sprachkenntnisse konnten zum Aufstieg in der Rangordnung beitragen. Meist wurden nur deutschsprachige Häftlinge von der SS mit Aufgaben in der Verwaltung und der Arbeitsorganisation betraut. Wer einen Beruf ausübte, der für die SS von Nutzen war, wurde in der Regel weniger brutal behandelt. Häftlinge, denen Funk­tionen übertragen worden waren, wurden besser ernährt, ge­­kleidet und untergebracht. Die Häftlingsnummer konnte ebenfalls Bedeutung erlangen; denn Häftlinge mit niedriger Nummer galten wegen ihrer langen Lagerzugehörigkeit als erfahrene „Konzentrationäre“, denen sich andere unterzuordnen hatten.

Transportbedingungen

2.3

Während der Sammeltransporte in Güterwaggons wurden die Gefangenen manchmal tagelang auf engstem Raum zusammengepfercht, sodass sie weder Schlafmöglichkeiten noch Privatsphäre hatten. Selbst das Verrichten der Notdurft fand vor den Augen der Mitgefangenen statt. Besonders unerträglich war es in den Waggons an heißen Sommer- und kalten Wintertagen. Es gab kein Wasser, manchmal auch nichts zu essen. Die Folge dieser Bedingungen waren Krank­heiten, Verletzungen und Todesfälle. Wer zu flüchten ver­suchte, wurde erschossen. Kleinere Gruppen oder Einzel­personen wurden mit Polizeifahrzeugen, bisweilen auch in Personenwaggons transportiert.
Zielorte der Bahntransporte waren zunächst Bergedorf oder Curslack. Von dort mussten die Häftlinge ins KZ marschieren.
Ab Winter 1943/44 führte ein Anschlussgleis ins KZ Neuengamme, sodass die Züge direkt auf das Lagergelände fahren konnten.


Effekten

2.3

Die Gefangenen mussten bei der Ankunft im Konzentrationslager ihre Kleidung und alle persönlichen Dinge wie Uhren, Schmuck oder Brieftaschen abgeben. Dieser persönliche Besitz wurde registriert und in beschrifteten Papierumschlägen in einem gesonderten Gebäude, der „Effektenkammer“, aufbewahrt.
Die Effekten aus dem KZ Neuengamme überdauerten das Kriegsende. Sie werden vom International Tracing Service (Internationaler Suchdienst) in Bad Arolsen verwahrt. Zahlreiche ehemahlige Häftlinge sowie Familien der Opfer erhielten in den letzten Jahren diese für sie sehr wertvollen Erinnerungsstücke zurück.

Leihgaben des Internationalen Suchdienstes Bad Arolsen