Geländeplan

Zeitspuren

Formen des Erinnerns

Formen des Erinnerns

Die „Cap Arcona“ im deutsch-deutschen Gedächtnis

Kurz vor Kriegsende, am 3. Mai 1945, wurden in der Lübecker Bucht die Schiffe „Cap Arcona“ und „Thielbek“ von britischen Flugzeugen irrtümlich bombardiert. An Bord der Schiffe befanden sich etwa 7400 Häftlinge, die die SS aus dem KZ Neuengamme dorthin gebracht hatte. Nur 450 Häftlinge überlebten den Angriff. Die Toten wurden an den Stränden der Ostsee beiderseits der späteren Zonengrenze angeschwemmt und bestattet. Auf beiden Seiten der Grenze entwickelten sich verschiedene Gedenkkulturen, die wesentlich durch die politischen Systeme der beiden deutschen Nachkriegsstaaten geprägt waren.

„Commémorative des Anciens de Neuengamme“

10.1

Super-8-Film, erstellt im Auftrag der belgischen Amicale de Neuengamme am 8. Mai 1949.

(ANg)


Das „Cap Arcona“-Gedenken in Westdeutschland

10.1

Nach der Bombardierung der Schiffe wurden Tausende Leichen angeschwemmt und in Massengräbern bestattet. Eine erste Gedenkfeier fand am 7. Mai 1945 in Neustadt-Pelzer­haken unter Beteiligung von britischen Soldaten, überlebenden Häftlingen und Neustädter Bürgerinnen und Bürgern statt.
Neustadt-Pelzerhaken entwickelte sich zum zentralen Ort des „Cap Arcona“-Gedenkens in Westdeutschland und West­europa. An den Jahrestagen der Katastrophe veranstalten dort Häftlingsverbände, die Stadt Neustadt und die Landes­regierung Gedenkfeiern, die in der Nachkriegszeit im Zeichen des Kalten Krieges standen. Die Feiern waren von besonderer Bedeutung, weil sie – in Ermangelung anderer Gedenkorte – dem Andenken aller Neuengamme-Häftlinge galten.


Das „Cap Arcona“-Gedenken in Ostdeutschland

10.1

Die östlich der Zonengrenze angeschwemmten Toten wurden in Küstennähe bestattet, viele in Massengräbern am Strand bei Groß Schwansee. 1955 wurden die sterblichen Überreste nach Grevesmühlen umgebettet, um dort eine repräsentative Gedenkstätte zu schaffen.
Am „Cap Arcona“-Ehrenmal in Grevesmühlen fanden seit 1957 jedes Jahr Gedenkfeiern mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Region, der gesamten DDR und dem Ausland statt. Seit 1966 wurde jährlich ein „Cap Arcona“-Sportfest veranstaltet.
Die Toten der Schiffskatastrophe wurden kollektiv als anti­­faschistische Widerstandskämpfer geehrt und zur Legiti­mierung der DDR in Anspruch genommen.


Vitrine: Erinnerungen an die Schiffskatastrophe

10.1

Frühe Formen des Gedenkens

Das Gedenken an die Toten der Konzentrationslager war in den ersten Jahren nach der Befreiung ein zentrales politisches Anliegen. An den Gedenkfeiern auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg nahmen bis zu 20 000 Menschen teil. Partei­politische Auseinandersetzungen im beginnenden Kalten Krieg markierten 1949 den Wendepunkt dieser Gedenkpraxis. Das ehemalige KZ-Gelände war für Überlebende und Angehörige aufgrund der Gefängnisnutzung nicht zugänglich. Nur auf Druck aus dem Ausland zeigte die Stadt Hamburg sich bereit, dort 1953 eine erste, schlichte Gedenksäule zu errichten.

Frühe Gedenkfeiern

10.2

In den ersten Nachkriegsjahren riefen Regierung und Parteien der Freien und Hansestadt Hamburg gemeinsam mit den Häftlingsverbänden zu Gedenkfeiern auf dem Ohlsdorfer Friedhof auf, auf dem viele Opfer des NS-Regimes bestattet waren. Im Mittelpunkt der ersten Gedenkfeier stand die Urne eines unbekannten Häftlings aus Buchenwald, die später im zentralen „Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung und des Widerstandskampfes“ beigesetzt werden sollte.
Die Einweihung dieses Mahnmals im Jahr 1949 stand jedoch bereits im Zeichen des Kalten Krieges: Der Senat verweigerte eine gemeinsame Feier mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), der mehrheitlich kommunistische Mitglieder angehörten, und zog seine Einweihungs­feier auf den 3. Mai vor. Die VVN weihte das Denkmal anlässlich des Jahrestages der Befreiung am 8. Mai ein.


Wallfahrten nach Neuengamme

10.2

Im Ausland wurden Reisen an die Stätten der Konzentrations­lager häufig als Wallfahrten (Pèlerinagen) verstanden. Neben der Besichtigung des Ortes wurden Lieder gesungen und Gebete gesprochen.
Für Überlebende und Angehörige ermordeter Häftlinge hatten das Häftlingslager mit dem Appellplatz als Stätte des Leidens und das Krematorium eine besondere Bedeutung. Am Krematoriumsstandort wird bis heute Erde entnommen, um sie in die Heimat zu bringen.
Beide Orte waren lange Jahre nicht zugänglich. Die Besucher­innen und Besucher aus dem Ausland überflogen oder umfuhren das Gelände, um einen Blick auf das ehemalige Lager werfen zu können. Der ehemalige Krematoriumsstandort wurde erst 1970 zugänglich gemacht und gekennzeichnet, das Häftlingslager wurde 2003 Teil der Gedenkstätte.


Das erste Denkmal

10.2

Keinen Ort des Trauerns und Gedenkens auf dem ehe­ma­ligen Lagergelände zu haben, war für viele Überlebende und Angehörige unerträglich. Von offizieller französischer Seite wurde eine Lösung gefordert. Der Zugang zum ehemaligen Krematoriumsstandort und die Errichtung eines Denkmals gewannen in der Auseinandersetzung zuneh­mend an Bedeutung.
Von deutscher Seite blieb der Krematoriumsstandort mit der Begründung versperrt, dieser sei nicht mehr lokalisierbar. In der Folge wurde ein Denkmal auf dem Gelände der ehe-maligen Lagergärtnerei errichtet. Es wurde am 18. Oktober 1953 eingeweiht.
Auf Drängen der internationalen Lagergemeinschaft nach einem größeren Denkmal ergänzte die Stadt Hamburg die Anlage 1960 durch einen Kubus mit Inschrift.


Vitrine: Gedenken

10.2

Orte des Gedenkens

Nach langjährigen Forderungen der Häftlingsverbände entstand 1965 im nördlichen Bereich des ehemaligen Lagergeländes das internationale Mahnmal mit Stele, Mauer und 18 Platten zur Erinnerung an die Nationen, aus denen Häftlinge nach Neuengamme deportiert worden waren. Die Bronze „Le Déporté“ (der Deportierte) der französischen Bildhauerin Françoise Salmon war ein Geschenk der Amicale Internationale de Neuengamme. Auch an den Orten zahlreicher Außenlager des KZ Neuengamme wurden nach und nach Gedenksteine gesetzt und Denkmäler errichtet, mittlerweile mehr als hundert.

Das internationale Mahnmal in Neuengamme

10.3

Ein zentrales Ziel der 1958 gegründeten Amicale Internationale de Neuengamme (AIN) war die Errichtung eines großen, eindrucksvollen Mahnmals. Nach den Feiern zum 15. Jahrestag der Befreiung willigte der Hamburger Senat schließlich ein und akzeptierte 1963 einen Entwurf, für den sich die AIN nach einem Wettbewerb entschieden hatte.
Die Hamburger Verfolgtenverbände protestierten gegen ihren Ausschluss von den Verhandlungen und forderten die Hansestadt auf, eigenständig ein schlichteres Denkmal zu finanzieren. Um die Errichtung eines Denkmals nicht weiter zu verzögern, stimmte die AIN dem Hamburger Entwurf zu. Sie bestand aber auf der Aufstellung der Bronze „Le Déporté“ (Der Deportierte), die sie der Stadt Hamburg vor der Einweihung des Denkmals am 7. November 1965 als Geschenk übergab.


Außenlager als Gedenkorte

10.3

Heute gibt es über hundert Gedenkzeichen, die an die Außen­lager des KZ Neuengamme oder an die Toten der Räumungsmärsche erinnern. In Westdeutschland befanden sich bis in die 1980er-Jahre Gedenksteine vorwiegend auf Friedhöfen; hier handelte es sich um ein Totengedächtnis mit christlicher Sinnstiftung. In Ostdeutschland wurde die Erinnerung an die Toten – dem staatlichen Selbstverständnis entsprechend – zum Gedenken an den „antifaschistischen Widerstandskampf“ umgedeutet. Seit Beginn der 1980er-Jahre erreichten in der Bundesrepublik Bürgerinitiativen vielerorts, dass die Standorte der Außenlager – oft erst nach jahrelangen Auseinandersetzungen – kenntlich gemacht wurden. Damit wandte sich das Gedenken den historischen Orten zu. Auch die Formensprache erweiterte sich und neue künstlerische Arbeiten traten neben das tradi­tionelle steinerne Gedenken.


Im Brennpunkt gesellschaftlicher Kontroversen

Die Geschichte des KZ Neuengamme war lange Zeit nahezu in Vergessenheit geraten. In den 1970er-Jahren nahm die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in der bundesdeutschen Gesellschaft zu. Jugendverbände und Gewerkschaften engagierten sich in Hamburg für den Ort des ehemaligen Konzentrationslagers. In den 1980er-Jahren stand Neuengamme im Mittelpunkt zahlreicher Auseinander­setzungen. Protest und beharrliches Engagement vieler Menschen haben dazu geführt, dass 60 Jahre nach Kriegsende auch der Bereich des ehemaligen Häftlings­lagers Teil der KZ-Gedenkstätte Neuengamme geworden ist.

Im Gedächtnis der Stadt

10.4

Eine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit fand in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten kaum statt. In der Hamburger Öffentlichkeit dominierte lange Zeit die Vorstellung, der „hanseatische Geist“ der Stadt habe dazu geführt, dass das politische Klima hier während des Nationalsozialismus „milder“ gewesen sei als anderswo. Entsprechend wenig war über das Konzentrationslager Neuengamme veröffentlicht. Die historischen Geschehnisse wurden fast ausschließlich von den Verfolgten selbst dokumentiert. Erst Ende der 1960er-Jahre setzte allmählich eine Veränderung ein.


Das Dokumentenhaus

10.4

Bereits kurz nach der Einweihung des Internationalen Mahnmals 1965 äußerten Überlebende und Besucherinnen und Besucher den Wunsch nach einer Erweiterung der Gedenkanlage. Die Stadt Hamburg lehnte dies zunächst ab. Die Amicale Internationale de Neuengamme und der Arbeitsausschuß der Organisationen ehemals Verfolgter hielten jedoch an ihrer Forderung fest. Schließlich fasste der Senat 1979 den Beschluss, in Neuengamme ein Dokumentenhaus zu errichten. Mit seiner Eröffnung im Oktober 1981 gab es erstmals auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers eine Ausstellung. Nach der Verlagerung der Ausstellung in eine Halle der ehemaligen Walther-Werke wurde das Dokumentenhaus 1995 als Haus des Gedenkens neu eröffnet; auf Stoffbahnen sind dort nunmehr die Namen der Toten dokumentiert.

Gesellschaftliches Engagement

10.4

Während viele Bereiche des ehemaligen Konzentrationslagers durch die Gefängnisse und verschiedene Firmen genutzt wurden, verfielen die übrigen Gebäude zusehends. Für ihren Erhalt engagierten sich seit Ende der 1970er-Jahre unter­schiedliche Gruppen. Umbau- und Abrisspläne führten in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre zu Protesten von Überlebenden und engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Die kritische Diskussion in der Öffentlichkeit des In- und Auslandes führte schließlich zum Erfolg. 1984 wurden große Teile des ehemaligen KZ-Geländes unter Denkmalschutz gestellt sowie das Klinker­werk restauriert und so für die Gedenkstätte als Ort des Gedenkens, des Lernens, der Forschung, der Begegnung und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung erhalten.


Die Umgestaltung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

10.4

1989 sicherte der Hamburger Senat die Verlagerung der Justizvollzugsanstalt XII, die sich auf dem Gelände des ehe­ma­ligen Häftlingslagers befand, zu. Die Umsetzung dieser Zusage verzögerte sich unter Verweis auf finanzielle Schwierig­keiten und auf Probleme mit dem Gefängnisneubau in Billwerder-Moorfleet.
Mit dem Regierungs­wechsel in Hamburg im September 2001 wurde die Verlagerung erneut infrage gestellt. Nach einer heftigen Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit nahm der neue Senat die Revision des Verlagerungsbeschlusses jedoch zurück.
Im Juni 2003 wurde das Areal des ehemaligen Häftlingslagers schließlich an die KZ-Gedenkstätte Neuengamme übergeben. Mit dem Abriss der Gefängnisbauten begann die Umwandlung des Ortes in eine Gedenkstätte. Zum 60. Jahrestag der Befreiung am 4. Mai 2005 wurde die KZ-Gedenkstätte Neuengamme als Ausstellungs-, Begegnungs- und Studienzentrum neu eröffnet.


Graffiti

10.4

„Und hier war einst ein KZ“. Gefängnismauer, vermutlich 1995. Ausschnitt.

Foto: unbekannt. (ANg)